Fachtagungen

Bildungsbausteine gegen antimuslimischen Rassismus – Fachtagungen

29.11.2021 - Eindrücke von der Veranstaltung „Freund*innenschaft"

 

29.11.2021 - Eindrücke von der Veranstaltung „Freund*innenschaft"

Die Idee zur Veranstaltung „Freund*innenschaft als politische Praxis“ entstand im Anschluss an den Vortrag von María do Mar Castro Varela und Bahar Oghalai bei der Fachtagung „Bildung braucht Empowerment“. Diesmal liegt der Fokus auf Freund*innenschafts- Konzepten von wichtigen Denker*innen und der Bedeutung von Freund*innenschaft in Zeiten der Krise. Koray Yilmaz-Günay führt durch den Abend und begrüßt zunächst die Referent*innen und über hundert Teilnehmer*innen im virtuellen Raum. Die beiden Vortragenden interessiert besonders die Frage, inwiefern Freund*innenschaft politisch gedacht werden kann. Zu einem besseren Verständnis erläutert Bahar Oghalai zunächst verschiedene „Konzepte der Gegenseitigkeit“, worunter sie beispielsweise „Solidarität“, „Kollektive“, oder „Allyship“ fasst. Allyship wird als lebenslanger Prozess des Aufbaus von Beziehungen verstanden, wobei es wichtig ist, dass dies keine Selbstbezeichnung sein kann. Da Privilegien intersektional und fluide sind, erweitert María do Mar Castro Varela den Begriff um den Aspekt von „bidirectional allyship“, der insbesondere Allyship zwischen marginalisierten Gruppen in den Blick nimmt. Dabei geht es insbesondere auch um die Bereitschaft die eigene Position zu reflektieren und den Versuch sich trotz der Unterschiede gegenseitig zu unterstützen.

Nach dieser ersten Einführung verschiedener Begriffe, werden verschiedene Konzepte von Freund*innenschaft dargestellt. Auch Hannah Arendt fasst Freund*innenschaft in ihrer politischen Dimension und betont die Bedeutung von dieser in „finsteren Zeiten“. Daran anschließend gehen María do Mar Castro Varela und Bahar Oghalai auf bell hooks ein, die allgemeiner die Bedeutung von Vertrauen, Kommunikation und Engagement in freundschaftlichen Beziehungen darstellt. Spannende Erkenntnisse aus dem Verständnis von Freund*innenschaft lassen sich auch von Michel Foucault gewinnen. Außerdem werden Konzepte von Freund*innenschaft von Judith Butler und Danielle Allen vorgestellt. Ein weiterer wichtiger Teil der Veranstaltung ist die durch Koray Yilmaz-Günay angeleitete Diskussion im Anschluss an den Vortrag. Im Chat werden zahlreiche Gedanken geteilt, Fragen gestellt und es entsteht eine rege Diskussion zwischen den Referent*innen, der Moderation und den Teilnehmer*innen. Zum Abschluss gibt es sehr positives Feed-Back von allen Seiten, mit dem Wunsch eine weitere Veranstaltung dieser Art zur Vertiefung durchzuführen.

29.09.2021 - Eindrücke von der Fachtagung „Bildung braucht Empowerment"

 

29.09.2021 - Eindrücke von der Fachtagung „Bildung braucht Empowerment"

Anschließend an die Fachtagung zu antimuslimischem Rassismus im September 2020 fand am 29.September 2021 zum zweiten Mal die digitale Fachtagung zu antimuslimischen Rassismus statt, diesmal mit dem Fokus auf schulische und nichtschulische Bildung. Über 100 Teilnehmer*innen finden sich im digitalen Raum bei Zoom zusammen, um den Blick gemeinsam auf die Kontexte von Wissensfabriken zu werfen und rassistische Denk- und Handlungsweisen kritisch in den Fokus zu nehmen.

Die Fachtagung beginn mit einer Begrüßung durch den Publizisten, Aktivisten und Co-Leiter des Migrationsrats Berlin Koray Yilmaz-Günay. Daran anschließend folgten zwei Grußworte: Eins von Eren Ünsal (Leiterin der Berliner Antidiskriminierungsstelle) und ein weiteres von Mekonnen Mesghena (Leiter des Referats Migration und Diversity) der Heinrich-Böll-Stiftung).

Zunächst hält Prof. Dr. Karim Fereidooni, Juniorprofessor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Universität Bochum, einen Vortrag über Rassismuskritik in Gesellschaft und Schule. Fereidooni weist darauf hin, dass es keine neutrale Positionierung im Kontext von Rassismus geben kann. Er zeigt auf, dass rechtspopulistische und rassistische Einstellung in der Gesellschaft verankert sind und jeder Mensch, der in Deutschland sozialisiert wurde „rassistisches Wissen“ (Terkessidis 2004) besitzt. Aus diesem Grund ist eine rassismuskritische Haltung notwendig. Nach der grundlegenden Erläuterung des Rassismusbegriffs1 geht Fereidooni insbesondere auf Rassismus im Klassenzimmer ein und bezieht verschiedene Beispiele zu Fremd- und Selbstbezeichnungen im Klassenzimmer aus seiner Forschung mit ein. Anhand verschiedener qualitativer Befragungen zeigt er außerdem die Bedeutung von Rassismus im Lehrer*innenzimmer. Er geht insbesondere auf Sprache und Sprachhierarchien in der Schule ein. Dabei wird Schule häufig als „monolingualer“ (einsprachiger) Raum verstanden, wobei bestimmten Sprachen ihre Legitimität abgesprochen wird. Fereidooni fordert unter anderem die Entwicklung rassismuskritischer Fachdidaktiken, die curriculare Verankerung von Rassismuskritik, den Aufbau unabhängiger Beschwerdestellen und Empowerment für von Rassismus betroffene Schüler*innen.

Nach einer kurzen Pause ging es in die Workshopphase, wobei sich die Teilnehmer*innen vorher zu einem der fünf angebotenen Workshops angemeldet haben.

Workshop 1 wird von Aliyeh Yegane Arani, der Leiterin der Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen (ADAS), geleitet. Die ADAS ist eine unabhängige Antidiskriminierungsberatungsstelle, die Schüler*innen, Eltern, Sorgeberechtigten und Lehrpersonal professionelle Beratung und eine Begleitung im Klärungsprozess anbietet. Des Weiteren finden ein Monitoring und Berichterstattung schulbezogener Diskriminierung in Berlin statt und es werden Fortbildungen in Schulen angeboten. Der Workshop beginnt mit einer kurzen Vorstellung des Projektes. Daran anschließend folgt ein interaktiver Teil und ein Erfahrungsaustausch mit den Teilnehmer*innen über Handlungsmöglichkeiten und politische Strategien gegen Diskriminierung in der Schule. Dabei wird sich an realen Beispielen der Antidiskriminierungsstelle orientiert. Das Interesse an diesem Workshop ist besonders groß und es nehmen insgesamt 18 Personen teil.

Workshop 2 thematisiert „Vielfaltsorientierte und diskriminierungskritische Arbeit in Schule und Hort“. Er wird geleitet von Waltraud Eckert-König und Nele Kontzi (anti-bias-netz), Schulberaterinnen bei der RAA Potsdam. Sie stellen zunächst die Voraussetzungen für gutes Lernen dar und heben besonders die Bedeutung von Wohlbefinden, Zugehörigkeitsgefühl und der Möglichkeit zur Beteiligung hervor. Davon ausgehend gehen sie auf soziale Ungleichheit und Bildung ein und zeigen auf, dass Vorurteile und Diskriminierung allen Kindern schaden, die Auswirkungen sich jedoch je nachdem unterscheiden, welche soziale Identität ein Kind hat. Eckert-König und Kontzi fordern diversitätsbewusste Schulbücher und diversitätskompetente pädagogische Fachkräfte. Auch sie weisen auf die Problematik des monolingualen Schulsystems hin. Des Weiteren veranschaulichen sie Diskriminierungen bei Übergangsempfehlungen und Notengebung bei Kindern von Nichtakademiker*innen und Akademiker*innen sowie angenommenem „Migrationshintergrund“. Aktuell verschärft die unterschiedliche Ressourcenausstattung verschiedener Schulformen diese Ungleichheiten noch, beispielsweise beim digitalen Unterricht. In Kleingruppen widmen sich die Teilnehmer*innen Beispielen aus ihrer Praxis in Bezug auf Interaktion, Lehrmaterial, Mehrsprachigkeit und Notengebung und entwickeln Ideen diesen Benachteiligungen entgegenzuwirken. Am Ende wurde die Frage diskutiert: Wie kann vielfaltsorientierte und diskriminierungskritische Schulkultur aussehen?

Workshop 3 legt den Fokus auf Diskriminierung und antimuslimischem Rassismus an Grundschulen, insbesondere in Bezug auf Lehrmaterialien. Patricia Göthe und Cvetka Bovha stellen das Projekt zu Antimuslimischen Rassismus des Bildungsteams Berlin Brandenburg e.V. vor. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass die Angebote für das Thema Diskriminierung und antimuslimischer Rassismus an Grundschulen noch unterbeleuchtet sind. Mit Bezug auf den Vortrag von Karim Fereidooni am

Vormittag stellen die Referent*innen eine Schulbuchstudie zu Migration und Integration (2015) und die Bedeutung von Zugehörigkeit für das Lernen vor. Daran anschließend widmen sich die Teilnehmer*innen in Kleingruppen Beispielen aus einem Schulbuch und es folgt im Plenum ein angeregter Austausch zu Kulturalismus und Genderstereotypen und den Auswirkungen auf Kinder. Weitere spannende Fragen waren unter anderem: Wer schreibt Schulbücher? Wer entwickelt Curricula?

Ein weiterer Workshop ist ein Empowerment-Raum, ausschließlich für negativ von Rassismus Betroffene. Der Raum diente einem Austausch über Strategien und Umgang bei rassistischer Diskriminierung. Was tut uns/mir gut? Womit haben wir/ich positive und heilende Erfahrungen gemacht? Welche Netzwerke/Adressen sind empfehlenswert? Insgesamt 8 Teilnehmer*innen nahmen an diesem Workshop teil. Der Raum wird nach den Wünschen und Bedarfen der Teilnehmer*innen gestaltet, weshalb nach einer kurzen Vorstellungsrunde ein Gespräch über die Bedeutung von Empowerment und warum das eventuell gebraucht wird, folgt. Daran anschließend sammelt die Gruppe Empowerment-Quellen, wobei Projekte, Bücher, Videos, Orte und Musik in einem Pad zusammengestellt werden.

Der fünfte Workshop findet in Präsenz statt. Es handelt sich dabei um einen Stadtspaziergang in Kreuzberg zu antimuslimischem Rassismus. Im strömenden Regen treffen sich die Teilnehmer*innen am U-Bahnhof Prinzenstraße und widmen sich zunächst der Entstehungsgeschichte des Begriffs „Antimuslimischer Rassismus“ sowie seine Abgrenzung zu den Begriffen der Islamfeindlichkeit und Muslim*innenfeindlichkeit. Dabei stellen die Teamenden die Arbeit des Netzwerks gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit von Inssan vor. Ebenso gibt es einen Einblick in die Bedeutung von Machtdynamiken und Otheringprozessen in diesem Kontext. Danach beschäftigt sich die Gruppe mit dem rassistischen Mord an Marwa El Sherbini. Dabei kommt ein medienpädagogischer Wortbeitrag von der Slam Poetin Leila El Amaire zum Einsatz. Unter den Teilnehmer*innen entwickelt sich ein Gespräch zu tendenziöser, rassistischer Berichterstattung. Daran anschließend wirde ein Video des Kreuzberg Rappers Matondo betrachtet, der den Diskurs um rassismuskritische Berichterstattung künstlerisch in Form eines Rapvideos verarbeitet hat. Anschließend geht es um Rassismus in Bildungskontexten. Es werden einige persönliche Beispiele genannt und besprochen. Im Anschluss daran erfolgt ein historischer Exkurs zu den Wurzeln muslimischen Lebens in Berlin. Neben zahlreichen Beispielen wird insbesondere auf die Geschichte Mohamed Helmys eingegangen, ein arabischer Arzt, der während des 2 Weltkriegs mehreren jüdischen Menschen ein Überleben sicherte. Gegen Ende erreicht die Gruppe die Admiralstraße sowie das Kottbusser Tor. Hier werden einzelne muslimische Akteur*innen vorgestellt, wie beispielsweise Sawsan Chebli oder Betül Ulusoy.

Nach der Workshopphase geht es in eine Mittagspause. Daran anschließend folgt ein weiterer Höhepunkt der Fachtagung, ein Vortrag von María do Mar Castro Varela und Bahar Oghalai, die auch schon bei der letzten Fachtagung eine inspirierende Präsentation gehalten haben. Der Titel lautet: „Allyship und Freundschaft in bitteren Zeiten“. Zunächst sich die Referentinnen dem Begriff Allyship. Dies verstehen sie als lebenslanger Prozess des Aufbaus von Beziehungen auf der Grundlage von Vertrauen, Beständigkeit und Verantwortlichkeit. Essentiell dabei ist eine aktive und fortlaufende Praxis des Verlernens und Neuerfindens der eigenen Position. Gleichzeitig zeigen sie auch Problematiken an dem Begriff auf, wie unter anderen, dass häufig ein binäres Verständnis besteht (ally oder non-ally) und das der intersektionale und fluide Charakter von Privilegien durch den Begriff häufig nicht gegriffen werden kann. Daran anschließend führen sie den Begriff „bidirectional Allyship“ ein, wodurch insbesondere die Reflektion der eigenen Subjektposition und Allyship zwischen marginalisierten Gruppen konzeptionell gefasst werden soll. Sie setzen sich außerdem mit dem Begriff der Freund*innenschaft auseinander und beziehen sich dabei insbesondere auf den französischen Philosophen Michel Foucault. Sie thematisieren unter anderem die Fragen: Was bedeutet heterogene Freund*innenschaft? Inwiefern ist Freund*innenschaft eine politische Praxis? Der Vortrag stieß auf große Begeisterung bei den Zuhörenden und es wurden beim anschließenden Gespräch zahlreiche Fragen gestellt und Themen diskutiert.

Zum finalen Abschluss der Tagung haben wir die große Ehre die Künstlerin Stefanie-Lahya Aukongo begrüßen zu dürfen. Mit beeindruckenden Texten über Radikalität, Angst, Freiheit und Mut berührt Sie die Zuhörenden auch im digitalen Raum.

Und so geht die Tagung dem Ende zu mit dem Wunsch einer Wiederholung im nächsten Jahr auf allen Seiten.


1 Diskriminierung unterscheidet sich dahingehend von Rassismus, als dass bei Diskriminierung jede Person jederzeit aus unterschiedlichen Gründen Opfer von Diskriminierung werden kann, während Rassismus eine spezifische Form der Diskriminierung ist, in der eine Hierarchisierung aufgrund von zugeschriebener Hautfarbe oder Herkunft vorgenommen wird

 

29.09.2021 - Programm und Auszüge aus den Vorträgen

Zum Öffnen des Programms hier klicken.

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Auszüge aus dem Vortrag von Prof. Dr. Karim Fereidooni

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Auszüge aus dem Vortrag von Prof. Dr. María do Mar Castro Varela und Bahar Oghalai

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Im Anschluss an die Tagung entstand der Wunsch nach einem vertiefenden Vortrag von María do Mar Castro Varela & Bahar Oghalai.

Soziale und planetarische Gerechtigkeit sind das Ziel, doch wie und vor allem mit wem ist dieses zu erreichen?

Eine Debatte über politische Organisierung kann ohne eine Debatte über das Verhältnis der Beteiligten zueinander und eine Entscheidung über den Umgang, den sie miteinander pflegen wollen, nicht geführt werden. Es handelt sich dabei keineswegs Randfragen, die neben politischen Diskussionen geführt werden. Vielmehr sind sie genuin politische Themen, die im Zentrum einer jeden sozialen Bewegung stehen. Es gibt bereits eine Vielzahl von Begriffen, die im Zusammenhang mit politischen Kämpfen entstanden sind: etwa (internationale) Solidarität, Allyship, Sisterhood, Kamerad*innenschaft, um einige von ihnen zu nennen. Freund*innenschaft wird dagegen häufig ins Private verdonnert und aus dem politischen Terrain verdammt. Doch ist das gerechtfertigt?

Der Vortrag beschäftigt sich mit Freund*innenschaft als einer politischen Kategorie. Wir unternehmen eine Denkreise und folgen Überlegungen wie sie etwa Michel Foucault, Judith Butler oder Gayatri Chakravorty Spivak angestellt wurden, um diese für eine politische Praxis der Freund*innenschaft produktiv zu machen. 

Es moderierte Koray Yılmaz-Günay.

Auszüge aus dem Vortrag:

 

15.09.2020 - Fachtagung "Auf Worte folgen Taten: Antimuslimischer Rassismus und kritische Bildung"

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Podcast Reihe

Begleittexte „Wer macht Macht“

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Podcast

Islam(isches) in den Medien - Framinganalyse mit Dr. Sabine Schiffer

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Digitale Methodenhandreichung

Bildungsbausteine gegen antimuslimischen Rassismus

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